Salonstreitgespräch am 11.03.2022

Brauchen radikale Probleme radikale Lösungen?

Der Klimawandel erfordert entschlossenes Handeln. Denn er bedroht unser aller Lebensgrundlagen. Diese Erkenntnis ist nicht neu– doch wie können demokratisch verfasste Gesellschaften praktisch etwas dagegen tun? Muss ein klimaverträglicher Lebensstil erst mehrheitsfähig werden, damit ein Wandel „von unten“ in Gang kommt? Oder soll die Politik durch geänderte Rahmenbedingungen ein Umdenken „von oben“ herbeiführen?

Vom sozialen Ausgleich zur ökologischen Ausbeutung?
Beim diesjährigen Salonstreitgespräch des Roman Herzog Instituts (RHI) stand die große Frage im Raum: Wie soll eine freiheitliche und demokratische Gesellschaft mit existenziellen Problemen umgehen? „Unsere Art zu wirtschaften, ist mitverantwortlich dafür, dass die planetaren Belastungsgrenzen in Bezug auf Klima, Trinkwasser, Biodiversität und den Zustand der Meere erreicht sind“, sagte RHI-Vorstandsvorsitzender Randolf Rodenstock in seiner Begrüßung. Auch die Soziale Marktwirtschaft sieht er massiver Kritik ausgesetzt. Denn sie wird heute oft mit ungesundem wirtschaftlichem Wachstum in Verbindung gebracht, obwohl sie für Wohlstand und sozialen Ausgleich steht.

Zwischen Konsens und Kompromisslosigkeit
Entscheidungen in der Klimapolitik haben weitreichende Konsequenzen für alle Menschen und Unternehmen. Sie stellen die Politik deshalb vor große Herausforderungen. „Die Klimakrise duldet keinen Aufschub“, meint Nils Goldschmidt, Professor für Kontextuale Ökonomik an der Universität Siegen. „Wenn wir darauf warten, dass aus normalen Menschen bessere Menschen werden, verlieren wir zu viel Zeit!“ Er plädiert dafür, dass die Politik klare Regeln setzt, durch Anreize klimafreundliches Verhalten fördert und soziale Härten abfedert. Eine solche „Politik der Behutsamkeit“ trage auch dazu bei, Ängste und Unsicherheit in der Gesellschaft zu verringern.

Warten auf Godot
Dass die Politik durch Maßnahmen wie die CO2-Steuer eine Verhaltensänderung herbeiführen kann, hält Niko Paech, Professor für Plurale Ökonomik an der Universität Siegen, für abwegig. Solange die Menschen nicht von sich aus bereit sind, ihre Ansprüche zu reduzieren, kann es seiner Ansicht nach keinen ökologischen Wandel geben – daran würden auch Verbote oder Verteuerungen von klimaschädlichen Produkten nichts ändern. Seine Forderung lautet daher: „Wir müssen der Politik entgegeneilen!“ Gerade weil die Zeit dränge, dürfe man nicht allein auf die politischen Entscheidungsträger vertrauen. Dieses Verhalten ähnele dem „Warten auf den politischen Godot“, auf den großen Unbekannten, der die entscheidende Wende herbeiführen soll. Der Wachstumskritiker appelliert angesichts des Klimawandels an die Einsicht der Menschen und fordert sie zur Abkehr vom modernen Konsumdenken auf.

Zivilcourage versus Wankelmut
In der Demokratie folgt die Politik oft einem Zickzackkurs – je nachdem, welche Parteien gerade das Sagen haben und welche Themen Priorität genießen. „Wir erleben im Angesicht des Kriegs in der Ukraine, wie sich ganze Politikfelder von heute auf morgen ändern können“, sagte RHI-Geschäftsführer Martin Michael Lang, der das Streitgespräch moderierte. In der Frage, wie eine beständige Klimapolitik trotz wechselnder Mehrheitsverhältnisse und unvorhersehbarer Krisen gelingen kann, kamen die beiden Experten zu einem gemeinsamen Votum: Um den Klimaschutz voranzubringen, ist vor allem eine starke Zivilgesellschaft entscheidend.

Gastgeber Rodenstock hob zudem hervor, dass tragfähige Lösungen für radikale Probleme auch die Menschen anderer Kontinente und nachfolgender Generationen miteinbeziehen müssten. Denn sie gingen weit über die nationalen Einflusssphären hinaus. Zum Abschluss überbrückte er die widerstreitenden Positionen von Goldschmidt und Paech: „Für eine effektive Klimapolitik brauchen wir beides: die Einsicht der Menschen, dass wir nicht einfach so weiterwirtschaften können wie bisher, aber auch Regeln und Anreize, die diesen Prozess begleiten.“

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apl. Prof. Dr. Niko Paech

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Prof. Randolf Rodenstock

Wirtschaft, Ökonomie

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