Das RHI unterstützt „Data-Literacy-Charta“: Interview mit der Initiatorin und RHI-Expertin Katharina Schüller

Frau Schüller, Sie haben vor wenigen Wochen die Data-Literacy-Charta mit gegründet. Worum geht es da?

Schüller: Die Data Literacy Charta ist eine Selbstverpflichtung der Unterzeichner*innen, einen eigenen Beitrag zur Förderung von umfassenden Datenkompetenzen in Deutschland zu leisten. Dass Data Literacy eine Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhunderts ist und Einzug in sämtliche Bildungsbereiche finden muss, steht in der Datenstrategie der Bundesregierung. Ich fühle mich geehrt, dass ich die Verantwortlichen im Kanzleramt dazu beraten durfte, und wollte mit der Data-Literacy-Charta zeigen, dass nicht nur ich, sondern unglaublich viele Menschen und Institutionen in Deutschland aus unterschiedlichsten Bereichen – Wissenschaft, Wirtschaft, Politik – aktiv etwas dazu beitragen möchten. Weil es eben nicht um Spezialwissen von Expert*innen geht, sondern um einen Teil der Allgemeinbildung.

Was genau meinen Sie mit Data Literacy?

Schüller: Data Literacy umfasst die Fähigkeiten, Daten auf kritische Art und Weise zu sammeln, zu managen, zu bewerten und anzuwenden.

Als Schlüsselkompetenz hat sie drei Dimensionen: erstens spezifisches Wissen; zweitens die Fähigkeiten und Fertigkeiten, dieses Wissen anzuwenden; drittens die Bereitschaft, dies auch vernünftig und in guter Absicht zu tun.

Deshalb spielen Datenethik, Motivation und Werthaltung eine zentrale Rolle, um zukünftig mit Daten erfolgreich und souverän umgehen zu können.

... und wie soll das gehen?

Schüller: Damit Daten uns dabei helfen können, gute Entscheidungen zu treffen, braucht es kompetente Antworten auf vier grundlegende Fragen:

Was will ich mit Daten machen? Diese Frage stellt in den Vordergrund, dass Daten und Datenanalysen kein Selbstzweck sind, sondern dass es immer um eine konkrete Anwendung geht. Was kann ich mit Daten machen? Damit macht man sich klar, dass die technischen und methodischen Möglichkeiten eine wichtige Rolle spielen. Was darf ich mit Daten machen? Der Datenschutz, also alle gesetzlichen Regelungen der Datennutzung, muss immer mitbedacht werden. Was soll ich mit Daten machen? Gerade bei einer so wertvollen Ressource wie Daten muss die Frage im Raum stehen, wie wir daraus etwas möglichst Gutes für uns Menschen und für unsere Gesellschaft machen. Denn nicht alles, was bei der Datennutzung rechtlich erlaubt ist, ist auch sinnvoll oder gar gut.

Was ist Ihre persönliche Motivation, sich für das Thema zu engagieren? Und warum ausgerechnet jetzt?

Schüller: Wenn ich mich als Statistikerin vorstelle, begegnet man mir häufig mit einer gewissen Verunsicherung oder einem schlechten Scherz wie „Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast“. Zugleich erlebe ich jeden Tag, wie in den traditionellen und sozialen Medien mithilfe von Daten und Statistiken argumentiert wird und wie oft dabei Fehler passieren. Manchmal aus Unwissenheit, manchmal aus böser Absicht.

Der Wert von Datenkompetenz für unsere Demokratie scheint mir noch zu wenig erkannt. Dabei braucht es sie dringend, um souverän mit Daten und Informationen, aber auch mit Fake News umzugehen.

Ich engagiere mich schon seit vielen Jahren für mehr Datenkompetenz: als Hochschuldozentin, in Vorträgen an Schulen, in meinen Artikeln und Büchern. Statistik galt lange als trockenes, realitätsfernes Fachgebiet. Plötzlich ändert sich das. In der Corona-Krise werden Entscheidungen, die uns alle betreffen, auf der Grundlage von Statistiken getroffen. Dennoch sind Statistiker*innen immer noch kaum an diesen Entscheidungen beteiligt. Als Vorständin der Deutschen Statistischen Gesellschaft möchte ich das ändern.

Was passiert nach der Pandemie – wird Data Literacy dann wieder aus der öffentlichen Diskussion verschwinden?

Schüller: Im Gegenteil. Die Corona-Krise hat die Digitalisierung massiv beschleunigt und damit auch für eine enorme Zunahme an Daten gesorgt. Open Data wird ein immer wichtigeres Thema.

Daten gelten als eine der wichtigsten Ressourcen und wir brauchen Data Literacy, damit aus ihnen etwas Gutes entsteht. Wir sprechen nicht ohne Grund von Daten als dem „Öl des 21. Jahrhunderts“. Daten sprudeln wie Öl und ebenso finden wir fast täglich neue Anwendungsmöglichkeiten.

In beiden Fällen geht es nicht um das Rohmaterial: Niemand will eine Ölquelle in seinem Vorgarten haben und wir wollen keine Daten, sondern Antworten auf unsere Fragen. Das Ziel der Wertschöpfung aus Daten sind also nicht Algorithmen oder Statistiken, sondern bessere Entscheidungen – so wie das Ziel der Wertschöpfung aus Öl nicht Benzin oder Plastikverpackungen ist, sondern Mobilität oder Frische.

Aber wenn wir beim Umgang mit den jeweiligen Rohstoffen die Ethik außen vor lassen, dann kommt es zu unerwünschten Nebenwirkungen: etwa Stau, Feinstaub, vermüllte Ozeane im Umweltbereich. Oder Diskriminierung, Verletzung der informationellen Selbstbestimmung, falsche Entscheidungen infolge von (falscher) Datennutzung.

Wie könnte denn Data Literacy als Teil der Allgemeinbildung vermittelt werden?
Schüller: Wir müssen Data Literacy so schnell wie möglich lebenslang in allen Bildungsbereichen verankern und sie zu einem Teil der Allgemeinbildung machen: in den Lehrplänen der Schulen, in den Curricula der Hochschulen, in den Programmen der Lehrerbildung.

Wir brauchen Data-Literacy-Programme für die außerschulische und die berufliche Weiterbildung, zum Beispiel an den Volkshochschulen und in den öffentlichen Bibliotheken. Deswegen freut es mich so, dass unter der Schirmherrschaft der Bundeskanzlerin die App „Stadt | Land | Datenfluss“ der Volkshochschulen seit Mitte Februar in den App-Stores und auch als Web-Version auf dem KI-Campus verfügbar ist und unglaublich positiv aufgenommen wird.

Ich habe das Curriculum dazu erarbeitet. Sowohl meine Mutter als auch mein jüngster Sohn spielen sich schon begeistert durch die virtuelle Stadt und lernen dabei, wie Daten zahlreiche alltägliche Lebensbereiche durchdringen. Demnächst gibt es hoffentlich eine Version für Kinder, die man bereits in der Grundschule oder sogar noch früher nutzen könnte.

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