"Responsible AI ist der richtige Weg"

Interview mit Christoph Lütge, Ökonom und Philosoph

Christoph Lütges Credo: „Die gesellschaftliche Akzeptanz digitaler Technologien wird wesentlich von ethischen Regeln abhängen.“ Was bedeutet das in Zeiten der Corona-Krise, haben wir ihn gefragt. 

Digitalisierung von Arbeitsprozessen: Wo erleben wir den Wandel tatsächlich?

Lütge: Die Digitalisierung der Arbeitswelt ist kein neuer Vorgang. Sie hat bereits vor vielen Jahren mit der Einführung von Computern begonnen. Doch mit künstlicher Intelligenz (KI) und Big Data wird diese Entwicklung auf eine neue Ebene gehoben:

KI-Technologien werden schon in vielen Prozessen der Produktion und auch in der Logistik (z. B. Learning Warehouse) eingesetzt. Big-Data-Anwendungen werden in Banken und Versicherungen verwendet, etwa um die Kreditwürdigkeit zu überprüfen.

Generell können viele Prozesse, die man bisher nicht für automatisierbar hielt, von Maschinen erledigt werden – oder zumindest mit sehr viel weniger menschlichem Input als bisher. 

KI macht das Alltagsleben leichter. Aber Menschen müssen der neuen Technologie vertrauen, um Ängste und Vorurteile abzubauen. Ist die aktuelle Krise hierfür eine Chance? 

Lütge: Ich glaube, dass die Corona-Krise – bei aller Tragik – auch eine Chance ist, mit den Digitaltechnologien besser zurechtzukommen. Selbst für Kritiker ist sie eine Möglichkeit, sich besser mit Digitalisierung und KI anzufreunden.

Um ein Beispiel zu geben: Ich selbst kenne eine Reihe von Freiberuflern im künstlerischen Bereich (etwa Musiklehrer*innen), die jetzt damit beginnen, ihre Tätigkeit in den digitalen Raum zu verlegen – und dann feststellen, dass dies überraschend gut geht.

In Deutschland ist die Digitalisierung viele Jahre in öffentlichen Diskursen verteufelt worden, was dazu geführt hat, dass wir insbesondere bei der digitalen Infrastruktur (4G-Mobilnetze, aber auch Glasfaserkabel) nicht so weit sind, wie wir längst sein müssten und könnten. Die aktuelle Krise wird das grundlegend verändern.


Ethik für KI ist ein weltweites Thema. Wie können global-ethische Vereinbarungen in anwendbare Regeln übersetzt werden?

Lütge: Das Thema Ethik in der KI macht seit dem vergangenen Jahr eine erstaunliche Karriere, die noch lange andauern wird. Eine Reihe von Initiativen (in Europa etwa die High Level Expert Group on AI oder die AI4People) haben Ethik-Richtlinien auf eher abstrakter (aber trotzdem wichtiger) Ebene vorgelegt.

Jetzt kommt es darauf an, die konkretere Umsetzungsebene zu erreichen. Das heißt: Sowohl in Forschungsinstitutionen als auch in Unternehmen werden die Informatiker*innen und Ingenieur*innen in den KI-Entwicklungsprozessen mit jenen zusammenarbeiten, die über Kompetenzen in Ethik und Sozialwissenschaften verfügen. Genau das machen wir bei uns am TUM Institute for Ethics in AI. Auch Unternehmen kommen deswegen auf uns zu.


KI und Coronavirus – wie hilft uns das eine gegen das andere?

Lütge: Künstliche Intelligenz wird sehr hilfreich sein beim Kampf gegen Corona und andere Epidemien. Das ist sie zum Teil schon jetzt.

Programme zur Mustererkennung können beispielsweise COVID-19 durch Auswertung von CT-Scans schneller erkennen. Big-Data-Anwendungen können Daten über Erkrankte besser und zielgenauer zusammenführen, was die Bekämpfung der Krankheit erheblich erleichtert. Auch werden sie bereits in frühen Stadien eines Ausbruchs Muster erkennen, Prognosen erstellen und dadurch besser und schneller warnen können. Und schließlich gibt es bereits KI-Programme, die selbstständig Medikamente entwickeln, auch mögliche Impfstoffe.

Wichtig bleibt bei diesen Anwendungen, dass KI mit entsprechenden ethischen Richtlinien verwendet wird: Responsible AI ist der richtige Weg, damit die Menschen auch Vertrauen in die Technologien bekommen.

 

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Christoph Lütge forscht auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Unternehmensethik. Er ist Direktor des 2019 geschaffenen TUM Institute for Ethics in Artificial Intelligence an der Technischen Universität München. Seit 2010 hat er den Peter Löscher-Stiftungslehrstuhl für Wirtschaftsethik an der TUM inne.

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