„Wir wollten mit dem RHI einen Ort zum Nachdenken schaffen.“

Zum 20-jährigen Bestehen des Roman Herzog Instituts wirft RHI-Vorstandsvorsitzender Randolf Rodenstock einen Blick zurück – und spricht mit RHI-Geschäftsführer Martin Lang über das neue Profil des Think Tanks.

Herr Rodenstock, Sie haben vor genau 20 Jahren mit Roman Herzog unser Institut gegründet. Wie kam es dazu?

Randolf Rodenstock: Roman Herzog schlug mir – damals war ich Präsident der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft – vor, einen Stiftungslehrstuhl für „Gründungsunternehmertum“ einzurichten. Mir erschien es unpassend, das Unternehmertum sozusagen auf den akademischen Sockel zu heben. Im Gegenzug habe ich die Gründung eines Think Tanks angeregt.

Wie sah die Situation in Deutschland im Jahr 2002 aus?

Rodenstock: Die politische Grundstimmung war nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York düster. Im Westen herrschte große Furcht vor weiteren Attentaten, die internationale Terrorbekämpfung hatte höchste Priorität. In Afghanistan wurde Krieg geführt. Viele Deutsche blickten damals sorgenvoll in die Zukunft. Die deutsche Wirtschaft war in einer Strukturkrise, die Konjunktur schwächelte und wir hatten mehr als fünf Millionen Arbeitslose.

Mit welchen Themen haben Sie sich damals befasst?

Rodenstock: Megatrends wie die Globalisierung, die Digitalisierung und der demografische Wandel warfen die Frage auf, welche Zukunft die Arbeit in unserem Land hat. Roman Herzog und ich wollten einen Ort schaffen, um ganz grundsätzlich über die drängenden Probleme in unserem Land nachzudenken. Dabei ging es uns vor allem um die gesellschaftspolitischen Aspekte.

Was macht die Arbeit am RHI für Sie aus?

Rodenstock: Mich treiben Neugier und Nachdenklichkeit an sowie der Wunsch, vom Glauben zum Wissen zu kommen. Es geht darum, vermeintliche Gewissheiten kritisch zu Zwischen Neugier und Nachdenklichkeit hinterfragen und durch Fakten zu ersetzen. Wichtig ist für mich dabei auch, dass wir die Ergebnisse unserer Arbeit in einer verständlichen Sprache veröffentlichen. Wir wollen die Wissenschaft aus dem Elfenbeinturm herausholen.

Worauf sind Sie stolz, wenn Sie auf die vergangenen 20 Jahre zurückblicken?

Rodenstock: „Stolz“ ist vielleicht zu hoch gegriffen. Aber es erfüllt mich mit Freude, dass wir seit 20 Jahren auf Augenhöhe mit hochrangigen Persönlichkeiten ins Gespräch kommen – mit Politikerinnen und Wissenschaftlern, mit Unternehmerinnen und Experten aus Verbänden und anderen gesellschaftlichen Bereichen.

Wie geht es weiter? Welche gesellschaftspolitischen Fragen sind im Moment für Sie wesentlich?

Rodenstock: Ein Aspekt, der für das RHI immer schon zentral war und auch bleiben wird, ist das Thema Werte. Darunter verstehen wir nicht nur die Wertvorstellungen und Anschauungen Einzelner, sondern Werte, die hinter den gesellschaftlichen Institutionen stehen. Denn das berührt die Frage, was unser Gemeinwesen im Kern zusammenhält.

Gibt es noch mehr Themen, mit denen das RHI sich näher beschäftigen will?

Rodenstock: Ein zweiter Schwerpunkt ist Führung. Mit der Mitarbeiterführung und der Unternehmensführung haben wir uns am RHI immer beschäftigt und erfolgreich dazu publiziert. Ein Thema, das mir zurzeit in unserem Land jedoch zu kurz kommt, ist die strategische Führung. Aktuell haben wir einen politischen Reparaturbetrieb, dem jegliche konzeptionelle Planung fehlt. Es gibt zwar durchaus längerfristige Ziele – zum Beispiel in der Klimapolitik – aber Ziele allein sind noch keine Strategie. Darin sehe ich ein Defizit, mit dem wir uns dringend befassen müssen. Last but not least: Wir müssen mehr in die Zukunft gerichtet denken. Roman Herzog hat in seiner Ruck-Rede mehr visionäres Denken in Deutschland gefordert. Das soll der dritte Baustein unserer Arbeit am RHI sein.

An welche Themen denken Sie beim Stichwort Zukunft konkret?

Rodenstock: Es wird heute viel über die Spaltung der Gesellschaft gesprochen. Aber mir scheint, niemand hat sich bisher die Mühe gemacht, diesem Begriff einmal auf den Grund zu gehen. Haben wir es tatsächlich mit Spaltung zu tun – oder ist es in unserer pluralistischen Gesellschaft nicht auch normal, dass es unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichen Anschauungen gibt? Und was bedeutet das für die Zukunft unseres Gemeinwesens? Es geht aber auch um viel Greifbareres, zum Beispiel um den nachhaltigen Umbau der Wirtschaft oder um die Chancen und Risiken der KI. In diesen Schlüsselbereichen müssen wir eigene Standards setzen und sie nach unseren ethischen Maßstäben gestalten. Keinesfalls sollten wir den Technokraten und den Tech-­Giganten das Feld überlassen.

Kommen wir zum Schluss noch einmal auf Roman Herzog zu sprechen. Als überzeugter Europäer hat er sich stets dafür eingesetzt, Europa stark und handlungsfähig zu machen. Was bedeutet das für das RHI?

Rodenstock: Für die gegenwärtigen Krisen, die uns erschüttern, gibt es keine nationalen Lösungen. Für uns heißt das: Es reicht nicht aus, „in Deutschland neu zu denken“. Wir müssen und wollen den Blick weiten. Wann immer es passt, werden wir künftig auch auf internationaler Ebene mit Wissenschaftlerinnen und Experten zusammenarbeiten. Werte – Führung – Zukunft: Das sind also ab sofort unsere thematischen Schwerpunkte am RHI – und das mit einer Perspektive, die über den nationalen Horizont hinausreicht

© Roman Herzog Institut e.V.