Interview mit Michèle Morner, Deutsche Universität für Verwaltungswissenschaften, Speyer

Michèle Morners Credo: "Die Unternehmensleitung muss ihre Kontrollbefugnis neu interpretieren und anders als früher leben."

 

Frau Prof. Morner, Sie haben zusammen mit Ihrem Kollegen Christian Jung empirisch untersucht, ob und wie gemeinsame Werte die Eigenmotivation der Mitarbeiter im Unternehmen fördern können. Warum ist die Eigenmotivation der Mitarbeiter für den Erfolg des Unternehmens heute so wichtig?

Michèle Morner: Unternehmen können den gestiegenen Anforderungen eines durch Globalisierung und Digitalisierung immer komplexer werdenden Umfelds nur gerecht werden, wenn ihre Mitarbeiter sich engagiert, vorausschauend und kooperativ einbringen. Nur so können sie beispielsweise gemeinsam neues Wissen als Grundlage für innovative Produkte und Prozesse entwickeln.

Da Unternehmen beziehungsweise deren Führungskräfte diese Aktivitäten nicht "top-down" erzwingen können, bleibt ihnen nur, auf die Eigenmotivation der Mitarbeiter zu setzen. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von der intrinsischen Motivation, die in der Tätigkeit selbst begründet liegt und nicht – wie die extrinsische Motivation – durch externe Anreize, wie zum Beispiel Gehalt und Status, entsteht.

 

Wodurch kann die Eigenmotivation der Mitarbeiter im Unternehmen gefördert werden?

Michèle Morner: Wie die einschlägigen Arbeiten von Margit Osterloh und Bruno S. Frey zeigen, entsteht Eigenmotivation in Form intrinsischer Motivation auf dreierlei Weise und kann entsprechend unterschiedlich gefördert werden:

  • Erstens entsteht Eigenmotivation als sogenannter Flow-Effekt aus der Tätigkeit selbst heraus. Voraussetzung dafür ist, dass Mitarbeiter das Gefühl haben, weder unter- noch überfordert zu sein. Entsprechend müssen Führungskräfte bereits bei der Personalauswahl und Teamzusammensetzung darauf achten, dass Fähigkeiten und Anforderungen nicht zu weit auseinanderklaffen oder mit entsprechenden Personalentwicklungsmaßnahmen nachjustieren. Da es sich um die – aus Perspektive des Mitarbeiters – "wahrgenommene" Unter- oder Überforderung handelt, ist hier insbesondere auch die Kommunikation zwischen Mitarbeiter und Führungskraft wichtig.
     
  • Zweitens entsteht Eigenmotivation auf Grundlage sogenannter psychologischer Verträge, die die Mitarbeiter zusätzlich zu ihren formellen Arbeitsverträgen implizit mit ihrem Vorgesetzten und Kollegen abschließen. Demnach erbringen sie Leistung über den Arbeitsvertrag hinaus gemäß den von ihnen selbst im Laufe der Zeit verinnerlichten und den im Unternehmen gelebten (Fairness-)Normen. Solange sie sich fair behandelt fühlen, werden sie entsprechend dieser Normen Leistung erbringen. Damit diese Form der Eigenmotivation nicht zerstört wird, sind transparente und faire Prozesse wichtig.
     
  • Drittens entsteht Eigenmotivation von Mitarbeitern dann, wenn sie im Rahmen ihrer Fähigkeiten selbstbestimmt arbeiten können. Auf diese Weise fühlen sie sich am ehesten wertgeschätzt. Dem Streben nach eigenverantwortlichem Arbeiten werden jedoch weder hierarchisch angelegte Steuerung in Form von Weisungen oder Regeln noch die aktuell weit verbreitete Ergebnissteuerung durch Kennzahlen gerecht. Beide führen – gewollt oder ungewollt – in der Regel automatisch dazu, dass sich die Mitarbeiter kontrolliert fühlen. Anders ist dies bei der Selbststeuerung, bei der nicht nur die Aufgabenerfüllung, sondern auch die Kontrolle der Ergebnisse in der eigenen Verantwortung der betroffenen Mitarbeiter liegt.

 

Lässt sich etwas über den genauen Wirkmechanismus gemeinsamer Werte für die Selbstmotivation sagen?

Michèle Morner: Gemeinsame Werte bewirken allgemein ein höheres Commitment der Mitarbeiter und eine gestiegene Arbeitszufriedenheit. Die so entstehenden positiven Gefühle gegenüber dem Unternehmen steigern in der Regel dann auch die Eigenmotivation der Mitarbeiter.

Außerdem führen gemeinsame Werte im Unternehmen dazu, dass sich Mitarbeiter eher so verhalten, wie dies Kollegen und Vorgesetzte ebenfalls bevorzugen. Erstere erhalten so verstärkt positive Rückmeldungen, die wiederum deren intrinsische Motivation stärken.

Gemeinsame Werte im Unternehmen ermöglichen aber auch eigenverantwortliches Handeln, ohne die Unternehmensziele zu gefährden, weil die Wertebasis der Mitarbeiter grundlegend übereinstimmt. Die Eigenverantwortung der Mitarbeiter wiederum wirkt positiv auf deren Eigenmotivation, wie bereits im Rahmen der ersten Frage erläutert.

 

Wenn die Eigenverantwortung eine so wichtige Rolle spielt, muss dann nicht die Unternehmensleitung ihre Kontrollbefugnis weitgehend aufgeben?

Michèle Morner: Die Unternehmensleitung muss nicht ihre Kontrollbefugnis aufgeben, aber neu interpretieren und anders als früher leben. So müssen Führungskräfte akzeptieren, dass sie nicht alles über Weisungen und Regeln oder über Kennzahlen steuern können. Es kommt vielmehr immer auf die jeweilige Situation an:

Wenn die Führungskraft über genügend Wissen verfügt, wie die Tätigkeit am besten auszuführen ist, und diesen Prozess auch kontrollieren und sanktionieren kann, sind Weisungen durchaus ein sinnvolles Steuerungsinstrument. Fehlt ihr dieses Wissen, wird es schwierig.

Für die Kennzahlensteuerung müssen die durch Kennzahlen zu messenden Ergebnisse tatsächlich messbar, vorab festlegbar und im Nachhinein auch überprüfbar sein. Trifft dies nicht zu – wie beispielsweise bei fast allen wissensintensiven Prozessen – sind auch ausgetüftelte Kennzahlensysteme zum Scheitern verurteilt.

Dann ist man auf die eigenverantwortliche Zusammenarbeit mehrerer Experten angewiesen, die sich untereinander abstimmen – ohne dass die Führungskraft den Prozess direkt kontrollieren kann. Vor diesem Hintergrund bekommt Kontrolle eine neue Bedeutung und neue Schwerpunkte. Von besonderer Bedeutung ist beispielsweise, dass Führungskräfte das faire Miteinander zwischen den Mitarbeitern überwachen und notfalls auch unter Rückgriff auf Sanktionen durchsetzen. Nur in einem solchen Umfeld können gemeinsame Werte entstehen.

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