
Welche Impulse brauchen Energiesektor, Klimaschutz und Sicherheitspolitik in der Zeitenwende? Darüber sprach RHI-Geschäftsführer Dr. Martin M. Lang mit Prof. Dr. Dr. h. c. Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts München.
Herr Professor Fuest, wir leben in einer Zeit multipler Krisen. Um welche sollten wir uns in Deutschland am dringendsten kümmern?
Wir müssen mit allen Herausforderungen gleichzeitig umgehen, die wir gerade in den Bereichen Klima, Energie, Finanzen und Gesundheit erleben. Und dabei vermeiden, dass wir wegen der Konzentration auf die eine Krise andere wichtige Probleme vernachlässigen. Klar ist aber auch, dass Politik, Wirtschaft und Gesellschaft nur begrenzte Kapazitäten haben.
Zu guter Letzt: Sollten wir eher optimistisch oder pessimistisch in die Zukunft blicken?
Da zitiere ich Roman Herzog, der den Deutschen 1997 in seiner berühmten Ruck-Rede gesagt hat: »Die besten Jahre liegen noch vor uns!« Das war nicht als Prognose gemeint, sondern als Aufforderung an uns alle, die Probleme anzupacken. Dem kann ich mich nur anschließen.
Welche Prioritäten müssen wir in dieser Situation setzen?
Die kurzfristig drängendste Aufgabe ist die Energieversorgung. Wird der Winter sehr kalt, sind die Gasspeicher im Februar 2023 leer. Dieses Szenario sollten wir unbedingt vermeiden.
Was halten Sie vor diesem Hintergrund von dem Krisenmanagement in Berlin und Brüssel?
Die europäischen Staaten hätten sich auf eine gemeinsame Strategie verständigen müssen. Nationale Alleingänge – wie das 200-Milliarden-Entlastungspaket der Bundesregierung – halte ich für schädlich. Es besteht die Gefahr eines Subventionswettlaufs in Europa, der Energiepreise in die Höhe treibt und nötige Einsparungen verhindert.
Was würden Sie stattdessen empfehlen?
Kurzfristig: mehr europäische Koordination und Konzentration auf Einsparungen. Mittelfristig sollte Deutschland als Industriestandort und bevölkerungsreiches Land selbst mehr Energie erzeugen. Ein Energiesystem aus rein erneuerbaren Energieträgern aufzubauen, ist zukunftsweisend. Aber bis wir so weit sind, ist es noch ein weiter Weg. Wir brauchen eine Brücke in die Zukunft, das geht gegenwärtig nur mit Gas, Kernkraft oder Kohle.
Kann Deutschland langfristig eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz einnehmen?
Wir müssen uns den Realitäten stellen: Im globalen Maßstab ist Deutschland ein kleines Land. Uns als Vorbild zu sehen, wird von anderen wohl eher als Hybris verstanden. Die beste Chance für Deutschland, wesentlich zur Eindämmung des Klimawandels beizutragen, besteht in der Entwicklung klimaschonender Technologien, die wirtschaftliche Vorteile bieten – beispielsweise Energie billiger zu produzieren als mit fossilen Brennstoffen.
Im Klimaschutz, in der Sicherheitspolitik und im Handel sind wir auf globale Kooperation angewiesen. Aber weltweit verschärfen sich die Konflikte. Wie passt das zusammen?
Wir erleben gerade eine Veränderung der internationalen Ordnung. Geopolitische Spannungen und Konflikte nehmen zu. Es findet leider so etwas wie die Rückkehr des Ost-West-Konflikts statt, aber mit mehr Akteuren, erhöhter Komplexität und teils engen Wirtschaftsbeziehungen und gegenseitigen Abhängigkeiten.
Welche Folgen hat das für Politik und Wirtschaft?
Die Kooperationslogik der Wirtschaft und die Konfliktlogik der Politik vermischen sich. Anders formuliert: Unsere wirtschaftlichen Partner können gleichzeitig unsere geopolitischen Gegner sein. Darauf werden wir uns in Zukunft einstellen müssen. Und das ist keine triviale Aufgabe!
Brauchen wir einen Paradigmenwechsel in der Außenwirtschaftspolitik?
Man kann in diesem Kontext von einer »Neuen Geoökonomik« sprechen. Der russische Überfall auf die Ukraine, Chinas Drohungen gegen Taiwan, Cyberangriffe von Staaten gegen andere Staaten – all diese neuen Konflikte müssen wir berücksichtigen und die damit verbundenen Risiken managen.
Kehren wir in die Welt des Kalten Krieges zurück?
Wir bewegen uns in Richtung verstärkter Konflikte, so viel steht fest. Doch hier findet auch viel Framing statt: Die geopolitische Lage wird oft als Konflikt zwischen Gut und Böse dargestellt. Wir sollten weiterhin versuchen, miteinander zu kooperieren. Manche sagen, es dürfe keine Zusammenarbeit mit Ländern geben, die demokratische Werte und rechtsstaatliche Prinzipien missachten. Da bleiben dann am Ende nicht mehr viele übrig …
Also würden Sie nicht von einem Systemwettbewerb sprechen?
Wir sollten das ideologiefreier sehen. Natürlich können Autokratien niemals ein politisches Vorbild sein. Sie entscheiden zwar schnell, aber oft gegen die Interessen eines großen Teils ihrer Bevölkerung oder unter Verletzung von Freiheitsrechten. Und dass eine kritische Öffentlichkeit die Regierungen in rechtsstaatlichen Demokratien kontrolliert, halte ich für eine Stärke. Aber Checks und Balances können auch zu weit gehen. In Deutschland wird die Bürgermitwirkung – etwa bei Infrastrukturprojekten – teilweise übertrieben, das hemmt Innovation.