Roman Herzog Lecture 2025
Internationale Gerechtigkeit
„Um die aktuellen geopolitischen Entwicklungen einzuordnen, reicht ein intuitives Gerechtigkeitsempfinden als Maßstab nicht aus“, sagte RHI-Vorstandsvorsitzender Randolf Rodenstock zum Auftakt der Veranstaltung. „Gerechtigkeit ist zu einem Wieselwort verkommen, das von unterschiedlichen Seiten ideologisch umgedeutet wird.“ Es sei an der Zeit, das Thema zu versachlichen und wissenschaftlich zu durchdringen.
Dieser Aufgabe stellte sich die Politikwissenschaftlerin und Philosophin Barbara Zehnpfennig auf Einladung des Roman Herzog Instituts (RHI). Ihre akademischen Erfolge und ihre Verdienste um Demokratie und Rechtsstaat, für die sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden ist, würdigte Karlfriedrich Herb, emeritierter Professor am Lehrstuhl für Politische Philosophie und Ideengeschichte der Universität Regensburg, in einer kurzen Einführung.
In Ihrem Vortrag ging Zehnpfennig auf die ideengeschichtlichen Grundlagen des Gerechtigkeitsbegriffs und seine verschiedenen Deutungen ein. „Gibt es überhaupt ein Wissen von Gerechtigkeit – oder nur Meinungen?“, fragte sie. Die Suche nach der wahren Gerechtigkeit hält sie für anspruchsvoll, denn im Allgemeinen sind die jeweils eigenen Interessen ausschlaggebend dafür, was als gerecht oder ungerecht wahrgenommen wird.
Das führt unweigerlich zu Interessenskonflikten, wie die Politikwissenschaftlerin an den Themen Klimaschutz und Migration veranschaulichte. Während nach demokratischem Verständnis Gerechtigkeit dabei als ein „Bündnis unter Gleichen“ definiert wird, das auf Kompromiss und Ausgleich beruht, gilt sie im autokratischen Sinn eher als naturgesetzliches „Recht des Stärkeren“.
Auf globaler Ebene erschweren solche grundsätzlichen Unterschiede in den Gerechtigkeitsvorstellungen sowie nationale Egoismen oft die Bemühungen um gerechte Lösungen. Denn übernationale Organisationen wie die UN, die WHO oder der IWF sind auf die freiwillige Kooperation ihrer Mitgliedsstaaten angewiesen. Auch wenn gemeinsame Regeln existieren – wie Menschrechte, Völkerrecht oder internationales Strafrecht – fehlt es an wirksamen Mitteln, sie durchzusetzen.
In dieser mangelnden Verbindlichkeit sieht Zehnpfennig das große Manko im globalen Streben nach Gerechtigkeit. Dennoch hält sie ein solches Engagement nicht für vergebens: „Gerechtigkeit ist ein Prinzip, das alle Menschen und alle Staaten miteinander verbindet. Wir kommen ohne sie nicht aus!“
Begleitend zu der Veranstaltung wurde auch die neue RHI-Publikation „Gerechtigkeit als globale Aufgabe – Nachdenken über eine immerwährende Herausforderung“ von Barbara Zehnpfennig vorgestellt.