Den späteren Bundespräsidenten Herzog lernte ich kennen, nachdem er 1965 als Professor für Öffentliches Recht an die Freie Universität Berlin berufen worden war. Damals galt ich als politischer Einzelkämpfer, weil ich mich heftig mit den kommunistischen Fraktionen innerhalb der Studentenbewegung stritt, aber keiner der gegnerischen Gruppierungen angehörte. Und so berief mich der „Bund der Freiheit der Wissenschaft“ (BFW) zu seinem Bundesgeschäftsführer. In dieser Funktion war ich für die örtlichen Untergruppen des Vereins zuständig, darunter die Berliner „Notgemeinschaft für eine freie Universität“ (NofU), zu deren namhaften Mitgliedern Roman Herzog gehörte.
(Die NofU war ein Zusammenschluss von Hochschullehrern und Bürgern, die sich gegen die zunehmende Radikalisierung der studentischen Protestbewegung und die Polarisierung des akademischen Milieus wandte und für die Lehrfreiheit an deutschen Universitäten einsetzte; Anmerkung der Redaktion.)
Vom Professor zum Politiker
Gegen Ende der 1960er Jahre legten die studentischen Streiks und hochschulpolitischen Diskussionen den akademischen Betrieb an der FU Berlin und an vielen westdeutschen Universitäten nahezu lahm. Um wieder ungestört wissenschaftlich arbeiten zu können, wechselte Herzog 1969 an die Verwaltungshochschule Speyer. Er war inzwischen Herausgeber des bis heute angesehensten Kommentars zum Grundgesetz der Bundesrepublik, des „Maunz/Dürig/Herzog“ (heute: Dürig/Herzog/Scholz). Kurze Zeit später ließ er sich jedoch vom damaligen rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Helmut Kohl in die Politik locken. Herzog wurde 1973 Staatssekretär und Bevollmächtigter des Landes Rheinland-Pfalz. Später wechselte er in die baden-württembergische Landesregierung – als Kultusminister (1978 bis 1980) und Innenminister (1980 bis 1983).
Herr über den Weinkeller
Und so sollten sich unsere Wege erneut kreuzen: Als Student, der nebenbei seinen Lebensunterhalt verdienen musste, hatte ich einen Job als Referent im Kulturpolitischen Büro der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bekommen. Zu meinen Tätigkeiten gehörte es, die etwa alle sechs Wochen stattfindenden Sitzungen des CDU-Bundeskulturausschusses und der Kulturpolitischen Obleute von CDU und CSU im Bundestag und in den Landtagsfraktionen zu betreuen. Die beiden Gremien tagten reihum in den Landesvertretungen der unionsregierten Länder. Als wir an einem Freitag unsere Routinesitzung in der Landesvertretung von Rheinland-Pfalz abhielten, kam Herzog herein, unterbrach die Beratungen und sagte: „Ich gehe jetzt ins Wochenende.“ Und zu mir: ,,Herr Gutjahr-Löser, hier ist der Schlüssel zum Weinkeller – bewirtschaften Sie die Herrschaften großzügig!“
Loyale Verbindungen
Auch durch Herzogs Beziehungen zur evangelischen Kirche ergaben sich Berührungspunkte: So war er von 1971 bis 1980 Vorsitzender der Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD und wurde 1978 Bundesvorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU (EAK). Ein Jahr später bot er Wilhelm Staudacher den Posten des EAK-Bundesgeschäftsführers an. Staudacher fragte mich, ob er Herzogs Angebot akzeptieren solle. Er zögerte, weil dies mit einem Umzug nach Bonn verbunden war. Ich redete ihm zu und so entschied er sich für die Aufgabe an der Seite Roman Herzogs. Wie Staudachers weitere Karriere zeigt, musste er diesen Schritt nicht bereuen: Als Herzog 1983 als Richter zum Bundesverfassungsgericht wechselte, verließ auch Staudacher die Geschäftsführung des Evangelischen Arbeitskreises und übernahm wichtige Ämter innerhalb der CDU. Nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten berief Herzog Wilhelm Staudacher 1994 zum Chef des Bundespräsidialamts.
Bildung bleibt Chefsache
Der erschien kurz darauf in Leipzig und überbrachte mir ein Foto Herzogs mit einer persönlichen Widmung. In einem langen Gespräch überlegten wir, welche Akzente Herzog im Bildungs- und Hochschulbereich setzen könnte. Im Frühsommer 1995 besuchte Roman Herzog – inzwischen zum Bundespräsidenten gewählt – die Universität Leipzig und hielt einen Vortrag vor Studenten. Beim anschließenden Gespräch mit dem Rektorat sowie den Dekanen und Senatoren, an dem auch der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf teilnahm, ging es auch um die schwierige Finanzsituation der Universitäten. Dazu meinte ich in meiner Funktion als Kanzler der Universität: „Wir haben ja von lhnen, Herr Ministerpräsident, gelernt, dass sich an den Universitäten nur dann etwas rührt, wenn das Geld nicht reicht. insofern sind wir bereits außerordentlich fit!“ – Herzog mischte sich ein und stichelte freundlich: „Ja, das ist bei den Professoren wie bei den Kanarienvögeln: Wenn die Käfige zu groß sind, singen sie nicht!“
Letzte Ruhe auf dem Rittersitz
Vor langer Zeit unternahm ich mit meinen beiden Söhnen eine Rundreise zu historisch wichtigen Burgen in Deutschland. Und so waren wir auch nach Jagsthausen gekommen, hatten die Götzburg besucht und die Modelle der „eisernen Hand“ bestaunt. Natürlich konnte ich damals nicht ahnen, dass Roman Herzog mit seiner zweiten Frau, Alexandra von Berlichingen, hier seinen Lebensabend verbringen würde. Aber es ist ein tröstlicher Gedanke, dass dieser für unsere Zeit so bedeutende Politiker, Gelehrte und gläubige Bürger an einem historisch bedeutsamen Ort gestorben ist.
Über seinen Tod hinaus sollten wir seinem Denken und Tun – vor allem seinem Einsatz für unsere Verfassungswirklichkeit und für die Fortentwicklung unserer Wirtschaftsordnung – verpflichtet bleiben. Das Wirken des Roman Herzog Instituts ist dafür beispielhaft
Peter Gutjahr-Löser, Jahrgang 1940, war von 1991 bis 2005 Kanzler der Universität Leipzig. Sein Wirken für die politische Bildung begann 1956 im Gymnasium und endete nach 65 Jahren im Herbst 2021 mit der Abgabe des Vorsitzes der Theodor-Litt-Gesellschaft zur Förderung der geisteswissenschaftlichen Pädagogik.