Volker Brühl
Kurzportrait
Professor Dr. Volker Brühl ist seit 2013 Professor für Banking und Finance und Geschäftsführer des Center for Financial Studies an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Außerdem ist er seit 2017 Mitglied des Vorstands des Green and Sustainable Finance Cluster Germany. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Digitalisierung und Nachhaltigkeit im Finanzsektor. Für seine wissenschaftlichen Arbeiten wurde er mehrfach ausgezeichnet.
Die Vermeidung wirtschaftlicher Abhängigkeiten als Eckpfeiler einer internationalen Sicherheitspolitik
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Der Status quo
Die Welt befindet sich seit Jahren in einem wachsenden Spannungsfeld zwischen liberalen Demokratien in ihren unterschiedlichen Ausprägungen auf der einen Seite und autoritären Regimen auf der anderen Seite. Demokratische Staaten müssen bei der strategischen Gestaltung ihrer Beziehungen zu Autokratien berücksichtigen, dass diese sehr unterschiedliche Formen annehmen können. Sie können wie in China auf einer zentralistischen Parteidiktatur unter Führung eines Präsidenten beruhen. Russland sieht sich zwar als föderalen, demokratischen Rechtsstaat, ist aber faktisch nach herrschender Auffassung eine Autokratie, die stark auf den Präsidenten und seinen engsten Führungszirkel ausgerichtet ist. Hinzu kommen dynastieähnliche diktatorische Regime, die auf tradierten Machtstrukturen und einem starken militärischen Drohpotenzial nach innen und außen basieren (Nordkorea, Syrien). Andere Staaten, die durch religiös-fundamentalistische Einflüsse und diktatorische Elemente geprägt sind, weisen ebenfalls autokratische Züge auf wie zum Beispiel der Iran oder fragile Staaten, die man am ehesten als Theokratien bezeichnen könnte (zum Beispiel Afghanistan). Schließlich sind auch Monarchien wie Saudi-Arabien oder Katar zu nennen.
Autokratien zeichnen sich aufgrund des Fehlens demokratischer Grundprinzipien durch eine Missachtung von Menschenrechten, eine starke Ungleichverteilung von Einkommen, Vermögen und Bildungschancen sowie nicht-marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnungen aus. Denn wesentliche Elemente einer (Sozialen) Marktwirtschaft sind mit einer Autokratie unvereinbar. Vor diesem Hintergrund kann man die Frage nach dem geeigneten Umgang mit Autokratien zwar mit einigen grundlegenden Prinzipien beantworten, auf deren Grundlage die Wertegemeinschaft liberaler Demokratien agieren sollte, aber die Besonderheiten des Einzelfalls spielen in der konkreten Gestaltung von Politik eine große Rolle.
Für Demokratien stehen eigene Sicherheitsinteressen im Verbund mit den jeweiligen Bündnispartnern, das Eintreten für die aus Sicht demokratischer Staaten unveräußerlichen Menschenrechte (humanitäre Verantwortung) sowie die Wahrung ökonomischer Interessen häufig in einem Spannungsfeld zueinander. Wie stark diese Ziele miteinander in Konflikt stehen können, wird vor allem in geopolitischen Krisensituationen wie dem Ukrainekrieg, aber auch dem schwelenden Konflikt um Taiwan sowie regionalen Konflikten wie in Syrien oder im Iran deutlich.
Nach Auffassung des Autors lassen sich die sicherheitspolitischen und humanitären Verpflichtungen zum Beispiel zur Sicherung der universellen Menschenrechte beziehungsweise des Völkerrechts umso besser durchsetzen, je unabhängiger die eigene wirtschaftliche Situation von der jeweiligen Autokratie ist. Ein gutes Beispiel für einen solchen Zielkonflikt ist die Gestaltung der Beziehungen zu China. Jeder Staatsbesuch einer hochrangigen Politiker:in stellt einen Spagat zwischen dem Einsatz für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in China und der Förderung der Wirtschaftsbeziehungen zur weltweit zweitgrößten Volkswirtschaft dar. Allein Deutschland exportiert Waren im Wert von mehr als 100 Milliarden Euro (2022) nach China. Mehrere Millionen Arbeitsplätze in der EU hängen an den Exporten nach China. Dies gilt auch umgekehrt, aber China ist bestrebt, seine Abhängigkeit vom Ausland durch die „Dual-Circulation-Strategie“ weiter abzubauen. Daher dürfte die EU mittelfristig deutlich abhängiger von China werden als umgekehrt. Die USA haben jüngst mit dem Inflation Reduction Act ein Maßnahmenpaket beschlossen, das vor allem die wirtschaftliche Bedeutung Chinas für die USA reduzieren soll. Allerdings besteht bei solchen Maßnahmen die Gefahr, dass man den so Sanktionierten in die Arme anderer Koalitionspartner treibt. Die befürchtete weitere Annäherung von China und Russland ist ein aktuelles Beispiel.
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Was bedeutet dies für den Umgang demokratischer Staaten mit autokratischen Regimen?
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Die folgenden Ansatzpunkte sollten nach Auffassung des Autors diskutiert werden.