Jens Nachtwei
Kurzportrait
Jens Nachtwei, geb. 1979 in Stralsund. Studium der Psychologie mit Schwerpunkt Arbeit & Organisation an der Humboldt-Universität zu Berlin (HU). Promotion im Bereich Ingenieurpsychologie zu Mensch-Maschine-Funktionsteilung/ Automation an der HU Berlin.
Seit 2011 Postdoc sowie seit 2019 Projektleiter deepR (Digital Era Evidence-based Psychological Research) am Lehrstuhl für Sozial- und Organisationspsychologie an der HU Berlin.
Seit 2012 Professor für Wirtschaftspsychologie, insb. Psychodiagnostik und Personalentwicklung an der Hochschule für angewandtes Management.
Seit 2007 Geschäftsführender Direktor des universitären Spin-offs IQP (vormals GCC).
Primäre Arbeitsschwerpunkte: psychologische Implikationen der Automation beruflicher Tätigkeiten (Fokus v.a. Künstliche Intelligenz und technologische Arbeitslosigkeit); psychologische Aspekte eines Bedingungslosen Grundeinkommens; Kompetenzmanagement, Persönlichkeitspsychologie und Personalbeurteilung.
Nachgehakt: Führung
Eine Frage – zwei Antworten aus Wissenschaft und Praxis
-
Herr Nachtwei, wieso fühlen sich Führungskräfte oft nicht gut genug vorbereitet auf die berufliche Realität?
Prof. Dr. Jens Nachtwei ist Personalpsychologe, forscht am Institut für Psychologie der Humboldt-Universität zu Berlin und lehrt an der Hochschule für angewandtes Management. Sein Fokus: Nutzung der empirischen Psychologie zur Optimierung von Personalauswahl, Führung und Vertrieb in Unternehmen.
Es mangelt nicht an Wissen. Es fehlt vielmehr an der Orientierung, welches Wissen für die Realität wichtig ist. Was der Führungsnachwuchs gut gebrauchen könnte, sind fundierte Einblicke in das eigene Kompetenzprofil sowie einen Eindruck vom Spannungsfeld aus „alter“ versus „neuer“ Arbeitswelt.
Als Personalpsychologe befasse ich mich seit 15 Jahren mit der Frage, wie man die Eignung für Jobs wissenschaftlich fundiert feststellen kann. Die meisten Programme in Unternehmen und Verwaltungen konzentrieren sich dabei auf Führungskräfte – und sind leider ziemlich optimierungsbedürftig.
Auch Human Resources (HR) definiert nicht, welche Kompetenzen eine Führungskraft eigentlich mitbringen sollte. Entsprechend ratlos sind die Führungskräfte selbst, sodass sie wilde Hypothesen bilden. Die sind zwar bei genauerem Hinsehen nicht haltbar, prägen aber trotzdem das eigene Handeln und damit eine ganze Kultur.
Mit einem fundierten und gut verständlichen Kompetenzmodell wäre allen schon sehr geholfen. Es müsste die Fähigkeiten, Fertigkeiten und oft auch Persönlichkeitsmerkmale enthalten, die für die Bewährung in der Führungsrolle entscheidend sind. Bewährung sollte dabei nicht nur Leistung oder Beförderung sein, sondern auch „weiche“ Faktoren wie Gesundheit und Zufriedenheit beinhalten.
Viele Organisationen haben inzwischen Kompetenzmodelle. Sie sind jedoch oft zu umfangreich und enthalten das Zwei- bis Dreifache der maximal empfohlenen zwölf Kompetenzen. Da sieht niemand in HR und keine Führungskraft mehr durch – trennscharf beurteilen lässt sich dieses Sammelsurium auch nicht mehr.
Betrachtet man dann, welche Kompetenzen das Modell enthält, schlägt die Alltagspsychologie voll durch: „Vision, Passion, Drive“ und andere schillernde Wortmarken werden genannt, während ernstzunehmende Kompetenzen wie Problemlösefähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, soziale Einflussnahme, emotionale Belastbarkeit und Teamorientierung fehlen.
Keine Personalentwicklung nach dem Gießkannenprinzip
Mit einem tauglichen Kompetenzmodell kann man Führungskräften eine Standortanalyse anbieten und damit eine Orientierung zu den eigenen Stärken und Entwicklungsfeldern. Darauf sollte Personalentwicklung setzen, sodass nicht jede/r dieselben Coachings und Trainings bekommt, sondern alle Maßnahmen kompetenzbasiert begründet sind. Selbsterkenntnis ist der erste wichtige Schritt für die persönliche Entwicklung – und das kann nur gelingen, wenn Modelle und Instrumente so gut kalibriert sind, dass jede Führungskraft ein valides Kompetenzprofil erhält.
Neben den personenbezogenen Aspekten ist die Kollision von alter und neuer Arbeitswelt ein Thema, mit dem Führungskräfte sich auseinandersetzen müssen. Auf der einen Seite starre Hierarchien, auf der anderen Seite Demokratisierung, Denken und Handeln in Netzwerken. Dazwischen: unendlich viele Graustufen. Hier sollte eine Führungskraft orientiert sein, also mit den Konzepten aus alter und neuer Welt etwas anfangen sowie die Herausforderungen des Übergangs beurteilen können.
Dazu gehört auch eine gewisse Expertise in allen Fragen der Digitalisierung. Dieser Bereich wird von vielen Führungskräften kaum überblickt und entsprechend unterschätzt. Künstliche Intelligenz und daraus folgende Automation sind längst keine Laborspielereien mehr, sondern in der Praxis angekommen. Derartige Technologien verändern ganze Tätigkeitsprofile, machen zum Teil Jobs obsolet und lassen neue entstehen.
In der Psychologie interessieren wir uns vor allem dafür, was diese Entwicklungen mit dem Erleben und Verhalten von Beschäftigten machen – auch dafür sollte sich jede Führungskraft interessieren. Führungskräfte, die alte und neue Welt auf dem Schirm haben und einschätzen können, wie schmerzhaft der Übergang oft ist, sind sicher besser auf ihre Rolle vorbereitet als jene, die nicht über den eigenen Tellerrand hinausschauen und nur im Operativen verharren.
-
Herr Fassrainer, wieso fühlen sich Führungskräfte oft nicht gut genug vorbereitet auf die berufliche Realität?
Werner Fassrainer ist ehemaliger Manager in der Konzernzentrale der Siemens AG, Lehrbeauftragter, Gründer des Business Competence Seminars (www.bcs.coach) und Bildungsunternehmer in München.