Randolf Rodenstock im Interview

Herr Professor Rodenstock, vor über 15 Jahren gründeten Sie das Roman Herzog Institut (RHI). Was hat Sie in dieser Zeit immer wieder angetrieben und motiviert, sich ehrenamtlich für das RHI zu engagieren?

Ich habe stets versucht, nach dem Motto zu leben: „Mach dich nützlich!“. Mit dem Roman Herzog Institut haben wir einen Freiraum geschaffen, um über grundlegende wirtschafts- und gesellschaftspolitische Probleme nachzudenken und dafür tragfähige Lösungen zu entwickeln. Wir ergänzen und bereichern dadurch die Arbeit der klassischen Wirtschaftsverbände. Denn diese können sich solchen Fragen unter dem Druck des tagespolitischen Geschehens kaum noch in der nötigen Tiefe widmen.

Damit erfüllt das RHI einen ganz wichtigen Auftrag: Wir gehen den Dingen auf den Grund, wir bohren nach – und dies nicht nur unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, sondern im interdisziplinären Austausch etwa mit Ökonomen, Soziologen, Psychologen, Philosophen und Naturwissenschaftlern. Was mich immer wieder neu fasziniert, sind die überraschenden Erkenntnisse, die man dabei gewinnt. Zudem spornt es mich an, dass unsere Arbeit in der Öffentlichkeit zunehmend Anerkennung findet.

 

Worin besteht für Sie – ganz persönlich – der Wert der Arbeit am RHI?

Was ich beim RHI machen darf, entspricht in vielerlei Hinsicht meinen ganz persönlichen Neigungen: vermeintliche Wahrheiten hinterfragen und nicht alles für bare Münze nehmen. In mir steckt auch eine gehörige Portion Neugier und Wissbegier. Die kann ich am RHI wunderbar stillen – insbesondere im Austausch mit namhaften Wissenschaftlern, mit denen ich dann plötzlich an einem Tisch sitze und auf Augenhöhe diskutieren darf.

Nachdenken, vordenken, querdenken – so lautet denn auch unsere Devise am Roman Herzog Institut. Wir möchten – salopp formuliert – „vom Glauben zum Wissen“ kommen. Damit wenden wir uns ganz bewusst gegen das Postfaktische, das in unserer Gesellschaft immer mehr um sich greift. Das bedeutet: Nicht Vermutungen, Vorurteile und Aufregung, sondern gesicherte Erkenntnisse und Aufklärung über Zusammenhänge sowie Sachlichkeit sind für uns in der öffentlichen Debatte maßgeblich.

 

Bei der Gründung des Instituts lautete eine drängende Frage: Geht unserer Gesellschaft die Arbeit aus? Welche Fragen halten Sie heute für zentral mit Blick auf die Zukunft der Arbeit?

Damals, im Jahr 2002, war die Situation dramatisch: Über fünf Millionen Menschen waren in Deutschland arbeitslos. Zudem zeichnete sich bereits ab, dass die Bevölkerung schrumpft und immer älter wird. Vor diesem Hintergrund bewegte uns die Frage: Haben wir künftig zu viel oder zu wenig Arbeit?

Heute ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt zum Glück deutlich entspannter, in manchen Gegenden herrscht sogar Vollbeschäftigung. Gleichzeitig wirken verschiedene Megatrends: etwa die Globalisierung, die Digitalisierung oder eben der demografische Wandel, der sich verstärkt und jetzt evident wird, Stichwort: Fachkräftemangel.

Die Frage nach der Zukunft der Arbeit ist heute weniger quantitativ als noch um die Jahrtausendwende. Sondern es stellt sich ein ganzes Bündel qualitativer Fragen: Wie ändern sich die Arbeitsinhalte? Was macht die Digitalisierung mit den Menschen? In welcher Gesellschaft können und wollen wir leben und arbeiten? Welche Erwartungen und Ansprüche haben die jungen Menschen? Oder was passiert, wenn ein Großteil der Tätigkeiten künftig von Maschinen und Robotern ausgeführt wird? Dahinter würde ja ein enormer Produktivitätsgewinn stecken. Wie verteilen wir dann in unserer Gesellschaft diesen zusätzlichen Wohlstand?

 

Welche Hoffnungen und Visionen verbinden Sie mit dem Institut? Konkret gefragt: Wo möchten Sie das RHI in fünf Jahren sehen?

Wir haben uns vorgenommen, uns noch intensiver mit Fragen über das Morgen zu beschäftigen und alternative Zukunftsszenarien zu entwickeln. Dazu wollen wir in den nächsten fünf Jahren auch stärker über den nationalen Tellerrand blicken und unsere Untersuchungen internationaler ausrichten. Dabei geht es auch darum, was wir von anderen lernen können und welche Kräfte von außen auf unsere Gesellschaft einwirken.

Zudem wünsche ich mir, dass unsere Arbeiten noch stärker als heute Anklang in der wissenschaftlichen Community sowie in den Medien und der breiten Öffentlichkeit finden.

 

Herr Rodenstock, das RHI hat sich immer wieder wissenschaftliche mit dem Thema Führung beschäftigt. Da Sie selbst Führungsverantwortung tragen, sind Sie auch mit der praktischen Seite von Führung vertraut. Wie würden Sie ihren Führungsstil bezeichnen?

Führen bedeutet, die Menschen mitzunehmen, um Ziele gemeinsam zu erreichen. Ziele sind nicht in Stein gemeißelt; sie sind stets kritisch zu hinterfragen und zu korrigieren, etwa wenn sie sich als falsch erweisen oder die Situation sich geändert hat. Im Unternehmen ging es mir immer darum, eng mit Vorstand und Geschäftsführung strategisch zu planen, wie und wohin sich das Unternehmen weiterentwickeln soll.

Führung folgt für mich nicht starren Regeln, sondern ist stets situativ und individuell. Wichtig ist mir Vertrauen und gegenseitiger Respekt im Umgang mit den Mitarbeitern. Ich vertraue Menschen zwar nicht blind. Aber sie genießen bei mir grundsätzlich einen Vertrauensvorschuss – bis zum Beweis des Gegenteils.

Ich schätze im Umgang mit Mitarbeitern auch eine Kultur des Widerspruchs. Man darf und soll dem Chef widersprechen, wenn man davon überzeugt ist, die besseren Argumente zu haben. Und falls ich dann zunächst ungnädig dreinblicke, sollte man sich davon nicht abschrecken lassen.

 

Wenn Sie nach 70 Jahren Bilanz ziehen: Worauf sind Sie im Rückblick stolz? Und welche Wünsche sind noch offen?

Stolz ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Aber manches in meinem Leben erfüllt mich mit einer gewissen Genugtuung – allem voran, dass ich eine breite Palette an Erfahrungen, Erlebnissen und Begegnungen sammeln durfte.

Konkret sehe ich mit Genugtuung, dass ich unser Unternehmen erfolgreich geführt habe – auch wenn es heute nicht mehr in Familienbesitz ist. Durch Modernisierung haben wir den Brillenhersteller Rodenstock auf einen Weg gebracht, den er heute noch erfolgreich beschreitet. Auch in meiner Zeit als Präsident von vbw, vbm und bayme haben wir Konzepte erarbeitet, die zum Teil heute noch tragen und den Verbänden Strahlkraft weit über Bayern hinaus geben. Leider kam bei all diesem beruflichen Einsatz meine Familie manchmal etwas zu kurz. Daher erfüllt mich die Zuneigung, die mir meine Kinder entgegenbringen, mit besonderer Freude.

Ein Herzensanliegen bleibt für mich, das RHI, seine Themenpalette und seine Wirkkraft in Wissenschaft und Gesellschaft weiterzuentwickeln. Dennoch möchte ich jetzt allmählich von meiner ausgeprägten „Vita activa“ den Übergang zur „Vita contemplativa“ gestalten.

Während meiner Berufstätigkeit habe ich viele Länder und fast alle Kontinente besucht. Aber das waren meistens Geschäftsreisen mit der üblichen Routine: Flughafen, Hotel, Termine und zurück. Sonst habe ich da nicht viel gesehen. Das möchte ich jetzt nachholen. Mein Traum ist es, mit Schiff den Mekong runterzufahren – von Laos über Kambodscha bis nach Vietnam. Mit Muße die Tempelanlagen von Angkor Wat zu besichtigen, das stelle ich mir wunderbar vor ...

Die Welt ist groß und rund. Da warten sicher noch viele andere spannende Orte und Begegnungen auf mich.

Über Randolf Rodenstock

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